Schlagwort: Rollenklischees

Brief No. 5 – Von Foucault und Pfandflaschen

Liebe Anne,

Foucault! Und das (der?) am Sonntag! Da ist mir ja fast der Kakao aus der Hand gefallen, und wildes Kramen in der Gehirnwindung hinten links setzte ein. Und dann schreibst Du auch noch vertrauensvoll dazu, dass ich mich da sicher auskenne!  Ja, wie kann ich nun hier den Michel sinnvoll bemühen? Macht und Wissen? Geschlecht, Gender? Alles zusammen? Wahnsinn und Gesellschaft ist ja eher mein Steckenpferd, aber wahrscheinlich willst Du nicht darauf hinaus, wie wir in heutiger Zeit mit unseren Verrückten umgehen – auch wenn sich die Frage, ob wir als Gesellschaft eigentlich noch alle Latten am Zaun haben, durchaus hin und wieder stellen mag…

Na, also, dann versuch ich mich mal: Ein Foto ist erst einmal ein Foto. Es ist per se kein diskursives Element,  es ist aber fast immer, gerade in o.g. Kontext, in eine Narration eingebettet. Es ist der Diskurs über das Foto, d.h. der Sprech- bzw. Schreibakt unter Berücksichtigung des umgebenden Textes (der auf Instagram auch häufig nur aus Icons besteht, die wiederum durch Sprache interpretiert werden müssen), durch den wir unsere Realität konstruieren.

(Wirk-)Macht über das Subjekt erlangt das Foto durch die Praktik der Reproduktion, die die Grundlage für die Bildung normativer Ideale legt; in diesem Zusammenhang für die Bildung eines Ideals, das die (erfolgreiche) Frau beschreibt. Schöne Frau mit Heißgetränk vor Habitat-Wohnwand. Das sieht man fünfunddrölfzigmal und denkt, so müsse das Leben sein. Zu Hülf! Du fragst zurecht, wie wir da bitte wieder herausfinden, und zwar hurtig!

Widerstand ist laut Herrn Foucault dem System zwischen Macht, Wissen und Subjekt fest zugehörig. Wenn wir also darüber nachdenken, welche Berechtigung diese Fotos haben und sie in Frage stellen, gehen wir einen Schritt in die Richtung des Widerstands gegen stereotype Rollenbilder, den das System prinzipiell zwar vorsieht, der aber nur Macht und Wirkung entwickeln kann, wenn Netzwerke Wissen zusammenführen und der Widerstand sich durch Diskurs und Performanz etabliert.

Es ist genau, wie Du schreibst: Die Gesellschaft perpetuiert ihre Klischees durch die immergleichen Geschichten. Das zeigt sich in Change-Prozessen, die Du als Organisationsberaterin begleitest. Das zeigt sich auch im Kleinen, in Familienstrukturen. Die Rolle, die man hat, wird man kaum mehr los. Da kann man heute einen noch so aufgeräumten Vorratsraum haben, in Elternaugen bleibt man diejenige, die im zweiten Semester Pfandflaschen im Wert von 27,23 € hinter der Tür stapelte. Ohne Kästen. (Das war selbstverständlich nicht ich. Das war die Freundin der Cousine des Arbeitskollegen meines Großonkels.)

Lass uns also neue Geschichten erzählen, neue gute Geschichten. Anstöße geben, nachdenklich machen. Und unterhalten! Wir alle mögen Geschichten, nicht umsonst hat das Konzept des Storytelling so großen Erfolg. Dafür gibt es liebe-anne.de, unser kleines Grassroot-Movement. Und wer uns mag, klickt „Share“!

„Zuviel Idealismus!“, lacht da jemand höhnisch und klopft sich auf die Schenkel? Ach bitte. Sollten wir trotz steten Bemühens die Gesellschaft wider Erwarten nicht revolutionieren können, so haben wir zumindest mal wieder die Gehirnwindung hinten links entstaubt.

Es grüßt Dich herzlich

Deine Anne

P.S.: Heimlich träume ich von einem Foto, das uns beide vor einer kollabierenden Schrankwand mit 999 Büchern ablichtet. In Latzhosen und durchgetanzten Schläppchen.

Brief No. 4 – Weil wir uns nichts dabei denken

Liebe Anne,

Danke für Deinen letzten Brief und die lieben Wünsche. Nach Trüffelpasta und Weißwein – man gönnt sich ja sonst nix! – habe ich gestern noch schnell meine ersten Ideen für meine Antwort ins Handy getippt. Ich meine: Alles trifft zu. All Deine vorsichtig formulierten Hypothesen sind wahr.

Ja, es sind die Medien.

Ja, gebildete Frauen in einflussreichen Positionen werden gerne “verharmlost”. Was haben wir uns alle über Merkels Urlaubsfotos mit Käppi und Nordic Walking-Stöcken gefreut!

Ja, Tassen sind ein verbindendes, aber langweiliges Accessoire.

Ja, es hat sich niemand etwas dabei gedacht. Und alle denken sich etwas dabei….

Bestehende Bilder und mit ihnen gesellschaftliche Narrative werden gedankenlos übernommen. Schöne Frauen vor harmlosen Arrangements aus Designeraccessoires laufen auf Instagram eben richtig gut. Billy-Regale tauchen auf diesen Bildern nicht auf, weil sie auch ohne Influencer-Marketing gekauft werden. Und so verharren wir als Gesellschaft in den immer gleichen Rollenklischees. Weil wir uns seit Generationen dieselben Geschichten erzählen. In Kinderbüchern, in Kinofilmen, in Bildern.

Die dunkle Message ist das Ergebnis eben dieses nicht intentionalen eigendynamischen Prozesses.

Harmlos ist das nicht. Für Frauen ebensowenig wie für Männer. Vielleicht würde der ein oder andere Mann ja auch mal gerne eine Tasse halten?

Wie kommen wir da bloß raus? Was sagt z.B. Monsieur Foucault dazu? Ich glaube, da kennst Du Dich aus? Ich kann nur mit Luhmann aus zweiter Hand dienen.

Aus meiner Arbeit mit Unternehmen weiß ich, dass Wandel in sozialen Systemen kollektive Reflexion erfordert. Auch hier spielen Narrative und Bilder eine große Rolle. Unternehmen erzählen sich die immer gleichen Geschichten und verstellen sich damit den Blick auf notwendige Veränderungen. Erst, wenn die beteiligten Personen gemeinsam erkennen, wie sie sich selbst an der Umsetzung der angestrebten Veränderungen hindern, entsteht die Chance auf nachhaltige Veränderung. Ob sich das auf ganze Gesellschaften übertragen lässt? Und wenn ja, wie?

Nachdenklich räume ich meine Frühstückstasse vom Ikea-Tisch…

Deine Anne

P.S. Zepter und Kaiman fand ich schon ziemlich gut. Außerdem: Ein bis hundert Bücher. Ausgetanzte Schuhe. Eher Schläppchen oder Spitze? Ein Elefant. Ein Füller. Ein Merkel-Käppi? Und ein Glas Scotch… halt! Zwei.