Brief No. 29 – Duft der Lebendigkeit

Liebe Anne,

was machst Du gerade? An diesem vierten Adventssamstag? Vielleicht sitzt Du mit Plätzchen und Heizdecke auf dem Sofa. Danke für den Blick in die Zukunft in Deinem letzten Brief. Ich habe mich köstlich amüsiert.

Während bei mir die Kokosmakronen im Ofen backen, muss ich an eine Szene aus der Innenstadt diese Woche denken…

Menschen stehen Schlange. Dicht gedrängt, aber nicht dicht genug, um den Duft ihres Vordermannes einatmen zu können.

Wie gern sie jetzt den Duft gebrannter Mandeln, dampfenden Glühweins und gerösteter Maronen in ihre Nasen einsaugen würden. Ihre eisigen Hände an den Tassen wärmen, die Hitze des Getränks im Schein der Weihnachtsmarktbeleuchtung ihrem Gegenüber entgegenpusten.

Laut lachen, singen und rufen. Beherzt packen, ringen und knutschen.

Unbeschwert rotzen, schwitzen und husten. Kotzen, spucken, prusten.

In verrauchten Kneipen Bier verschütten. Sich in überfüllten U-Bahnen zwischen stinkenden fremden Körpern durchquetschen. Im Aufzug so dicht zusammenrücken, dass einem fast die Luft wegbleibt.

Stattdessen stehen sie steril verhüllt vor der örtlichen Parfümerie, um ihren Liebsten kurz vor der angekündigten Schließung ein Stück duftende Zivilisation zu ergattern.

Wie zum Beweis, dass mit ihrem Geschmacks- und Geruchssinn alles in bester Ordnung ist.

Nach welchem Duft sehnst Du Dich, liebe Anne?

Hier hängt nun frisch gebackene Kokosmakrone in der Luft.

Schnuppernd grüßt Dich
Deine Anne

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