Liebe Anne,
es ist Sonntagabend und in einer halben Stunde fängt der Tatort an.
(Kommt heute überhaupt einer oder ist einer dieser tristen Polizeiruf-Abende, an denen man verzweifelt auf Rosamunde Pilcher aka Inga Lindström umsteigt, um sich am Ende zu ärgern, dass man nicht einfach gleich ein gutes Buch in die Hand genommen hat?)
Dein letzter Brief ist eine Woche her und seit einer Woche sammle ich (neben Pfandflaschen) Geschichten, die ich erzählen will. Geschichten, die eine neue Realität konstruieren, einen neuen Diskurs anstoßen, und – so sie geteilt werden – dem Widerstand gegen bestehende Bilder und Diskurse Macht und Wirkung verleihen. Wie großartig durch die Brille Foucaults doch die Chancen der sozialen Medien erscheinen! Und wie traurig es doch ist, dass sie momentan – so scheint es mir – ihre transformatorische Kraft bei weitem nicht entfalten, sondern stattdessen in Filterblasen den immer gleichen Leuten die immer gleichen Geschichten erzählen. So wird das nix mit dem gesellschaftlichen Fortschritt!
Was sind also die Geschichten, die ich erzählen will? Es sind bei weitem nicht nur Geschichten von Männern und Frauen. Es sind auch Geschichten von Ärztinnen und Patientinnen. Von Eltern und Kindern. Von Lehrern und Schülern. Vielleicht von Menschen und Maschinen. Von Politikern und Wählern. Von Faktenaufzählern und Geschichtenerzählern…
Es ist zum Beispiel die Geschichte von der Patientin, die ihrer Ärztin auf Augenhöhe begegnet und von ihr als mündiger Mensch beraten statt als unwissende Nutzerin eines Apparates namens Körper behandelt wird. Mehr dazu in einem meiner nächsten Briefe.
Jetzt hat der Tatort schon angefangen, daher verabschiede ich mich in den Ausklang des Wochenendes und wünsche Dir einen schönen Abend mit der ein oder anderen unterhaltsamen und vielleicht neuen Geschichte…
Deine Anne
P.S. Danke fürs Entstauben der Gehirnwindung hinten links. Ich habe mich sehr gefreut, dass Du meiner Einladung zum gemeinsamen Kramen in der Theoriekiste gefolgt bist und bin gespannt, welche Thoeretikerinnen und Philosophen uns auf unserer weiteren Reise noch begleiten werden.
2 thoughts on “Brief No. 6 – Geschichten, die die Welt verändern – Oder: ein Redaktionsplan”