Kategorie: Arbeit

Brief No. 3 – Raute oder Tasse, das ist hier die Frage!

Liebe Anne,

heute denke ich ganz besonders an Dich und hoffe, Du hast einen wunderbaren Tag! Hoch die… ähm… Tassen!

Über Deine Post habe ich mich sehr gefreut. Ich teile Deine Ansicht, dass die Tasse als Icon in den Fotos das Sanfte, Warme betont. Daran ist ja per se auch gar nichts verkehrt! Wenn ich in diesen Tagen nach Hause komme, mache ich mir eine Tasse Tee und verkrieche mich zwischen zwei Buchdeckeln. Wenn ich außer Haus schreibe (wie jetzt gerade!), dann steht neben meinem Laptop – genau wie Du sagst – ein Cappuccino. Aber wenn Du mich nun beschreiben müsstest und sagen würdest „Ja, die Anne, die trinkt unheimlich gern Heißgetränke“, dann würde ich zum Glas greifen. (Scotch.)

Problematisch wird es für mich, wenn die Tasse zum definierenden Moment wird, und meine Frage angesichts der vielen tassenhaltenden Frauen in den Zeitungen und Magazinen ist, wer für diese Inszenierung verantwortlich ist. Sind es die Frauen selbst, die sich diese Art von Darstellung wünschen? Kannst Du Dir vorstellen, dass Frauen, die mitten im Leben stehen, überlegen: „Ja, Mensch, was zeichnet mich wohl am ehesten aus? Ich hab’s, eine Tasse!“? Oder andersherum, glaubst Du, dass Frau Merkel einem Portrait in diesem Setting zustimmen würde? Bitte nicht. Raute ja, Tasse nein.

Sind es also die Medien, die die Frauen durch Tassen weichzeichnen möchten? À la: „Ja, die hat einen Master aus Yale und arbeitet für die US-Regierung, aber eigentlich ist sie ganz harmlos!“ Geht es um die mediale Verharmlosung von Frauen durch Tassen? Das wäre die besorgniserregende Interpretation.

Oder ist die Aussage vielleicht doch viel unschuldiger? Ist die Tasse ein verbindendes Element? Meint die Protagonistin mit der Tasse: „Ja, ich bin zwar Bestsellerautorin, aber eigentlich bin ich wie ihr da draußen eine ganz normale Frau, die Tee trinkt.“? Dann wäre die Tasse einfach ein langweiliges, aber ungefährliches Accessoire.

Ist die Geschichte möglicherweise ganz simpel: Hat sich dabei einfach niemand etwas gedacht? Hat irgendwer angefangen, tassenhaltende Frauen zu knipsen, und die Kollegen haben das übernommen, weil es ja auch superpraktisch ist, wenn das vor der Kamera leicht befangene Laienmodel was in der Hand hat, zum Dranfesthalten? Ist die Tasse nur bloßes Zufallsobjekt eines nicht intentionalen eigendynamischen Prozesses?

Oder lauert da noch eine ganz andere Message, eine dunklere, über die die hellen Vorhänge im Hintergrund dezent hinwegwehen? Die Fotos sind in der Regel exakt komponiert, das Fotoset eine Bühne: Die frischen Tulpen auf dem Tisch. Bücher und Magazine auf dem Kaffeetisch ordentlich aufgereiht. Die Designervase auf der Anrichte. Kissen, viele Kissen und eine Kaschmirdecke. So ein Foto sagt auch: „Ich bin beruflich erfolgreich und hab auch alles weitere im Griff. Mein Haushalt, schau hier. Habitat. Hermès. Und durchgesaugt ist auch“. Daraufhin wandert der Blick in die eigene Bude, Expedit leicht schief, keiner hat abgewaschen und der Scheck für den unterbezahlten Auftrag war auch nicht in der Post.

Da bleibt nur die Frage: Jetzt ‘nen Tee für die Nerven? Oder ‘nen Scotch? Oder einen Film mit Clooney?

Deine Anne

P.S.: Lass uns überlegen, welche Accessoires wir für den Fototermin für liebe-anne.de mitbringen!

Brief No. 2 – Der Griff zur Tasse…

Liebe Anne,

was für eine Ouvertüre! Sie gefällt mir. Politisch und lyrisch, humorvoll und voller Leidenschaft… Das wird gut.

Ich kenne die Tassen, die Du beschreibst. Sie werden gehalten von Frauen, die gesehen werden wollen, die etwas zu sagen haben, die den Schritt auf die Bühne wagen. Die aber, um auf dieser Bühne stehen zu dürfen, schön, warm, weich und weiblich sein müssen. Die sich unsichtbar machen, um gesehen zu werden. Um gemocht zu werden. Warm, wohlig, weich wie eine schöne Tasse Kaffee am Sonntagmorgen.

Sie werden gehalten von Frauen wie meiner Freundin, die sich neulich fragte, was ein Mann in ihrer Situation machen würde, als ihr die in Aussicht gestellte Führungsrolle plötzlich grundlos wieder entzogen und stattdessen einem Mann übertragen wurde.

Oder meiner anderen Freundin, die sich fragt, wie sie ihre beruflichen und mütterlichen Ambitionen unter einen Hut bringt, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, das mit ihrem Mann zu besprechen. Weil sie es als ihre Aufgabe ansieht.

Oder meine ehemalige Arbeitskollegin, die ab dem ersten Ansatz von Babybauch plötzlich nicht mehr zu Meetings eingeladen wurde, weil sie ja “eh bald weg” ist.

Der Griff zur Tasse als gemeinsame weibliche Resignation? Zur Flasche wäre schließlich zu männlich.

Die Tasse steht aber vielleicht noch für etwas anderes. Wenn sie nicht gehalten wird, steht sie neben einem Laptop. In einem Café. Auf dem Beistelltisch. Dort, wo gut ausgebildete Frauen ihr Geld mit ihrem eigenen Business verdienen. Selbständig. Ohne das enge Korsett eines Nine-to-five oder Seven-to-ten-Jobs mit Präsenzkultur und gläsernen Decken. Im Home-Office oder am Café-Arbeitsplatz. Mit einer guten Tasse Cappuccino – vom Barista frisch aufgebrüht und mit Liebe verziert.

Sie greifen zur Tasse, weil sie es können.

Santé!

Deine Anne

P.S. Clooney hält seine Tasse anders. Selbstbewusst, männlich, mit frontalem Blick in die Kamera. Er setzt die Tasse in Szene. Nicht die Tasse ihn.